VERWEBEN, VERNETZEN, VERBINDEN
Mein Auge hatte schon immer einen liebevollen Blick für Papier. Bereits in einer früheren Werkphase hatte ich für meine fliegenden Teppiche und weiteren Objekte Zeitungspapiere mit fremden Schriftzeichen verwendet. Auf Streifzügen durch die Strassen und Brockenstuben sammelte ich gebrauchte Papiere. Die Haptik und Ästhetik der vielfältigen Papiere entzückten und inspirierten mich. Sie sind in den letzten vier Jahren zu meinem hauptsächlichen Werkstoff geworden: Atlanten, Wanderkarten, Tapetenbücher, Musiknoten, Statistikvorlagen, Logtafeln, Lehrbücher, Tabellen von Börsenwerten aus Tageszeitungen, Bilderbücher und handgeschriebene Materialien wie Musiknoten, Schulhefte, Briefe, Tagebücher oder Kinderzeichnungen. Solches, durch die zunehmende Digitalisierung sozusagen obsolet gewordenes “Schwemmgut” wird mir inzwischen auch zugetragen.
Ich stellte mir als Recherche die Aufgabe, täglich eine Doppelseite eines entsorgten Kunstkataloges umzugestalten. Ich übermalte, überzeichnete, überschrieb, überklebte, addierte neue Papiere. Um verschieden grosse Papierteile zusammenzuhalten und zu stabilisieren, begann ich, sie zusammenzustecken. Mittlerweile sind beim wertfreien Spielen und Experimentieren zwölf solcher Kunstbücher entstanden.
Ab 1997 wurden in der Schweiz Briefumschläge auch innen bedruckt, die wichtige Inhalte vor Durchsicht schützen sollten. Die kleinteiligen Muster erinnern an Herrenhemden. Ich war von der Vielfalt dieser Security- oder Safety-Briefumschläge fasziniert und begann, sie zu sammeln. Bis zum ersten Objekt mit Security-Papieren vergingen allerdings gut zehn Jahre. In den ersten Experimenten mit den aufgeschnittenen Security-Papieren entstanden zufällige Knitterformen, wunderbar plastisch, aber sehr fragil und gerne hätte ich mehrere Quadratmeter grosse Papiere zu grösseren Gebilden geformt.
Beim Aufschneiden der Umschläge erschienen gerade und gebogene weisse Ränder um die Sichtfenster und Verschlüsse. Diese schönen Details integrierte ich in meine Collagen und verwendete sie als Hintergrund für die Vogelzeichnungen. So entstand eine neue Verbindung von den Handzeichnungen und den industriell gefertigten Strukturen der Briefumschläge.
Da ich in jener Zeit noch mit den Teppichornamenten beschäftigt war, integrierte ich solche Ornamente in alle Papiere meiner Sammlung. Ich nähte die ausgeschnittenen Teile zu grösseren Gebilden zusammen, hängte sie auf oder breitete sie auf dem Fussboden aus. Aus dem freien Zusammenstecken der Papiere entwickelten sich dank einer traditionelleren Webtechnik stabilere Gebilde. Möglicherweise hatten die ersten Weber in ähnlicher Weise zufällig zur Webtechnik gefunden.
Eine Geduldsarbeit? Nein. Die Ästhetik der unterschiedlichen und immer wieder neuen Papiere, das Achten auf Farbnuancen, die Anbindung an ein uraltes Handwerk und die Ruhe zum Nachdenken über Kohäsion, Stabilität und Vernetzung beschäftigen mich während des Arbeitens grenzenlos und lassen keine Ungeduld aufkommen.
Seit ich mich mit Weben beschäftige, fallen mir auch Begriffe auf, bei denen “Weben” im übertragenen Sinne benützt und insbesondere das Verbindende hervorgehoben wird.
So benützt das World Wide Web (WWW) den Begriff des Gewebes, um weltweite Vernetzungsmöglichkeiten zu versprechen.
Mahatma Gandhi führte gar mit dem einfachen häuslichen Weben und Spinnen Indien in die Unabhängigkeit. Die propagierte Aktivität des Webens und Spinnens schaffte einen grösstmöglichen menschlichen Zusammenhalt unter den friedlich Protestierenden. Gleichzeitig wurde mit einer einfachen und allen zugänglichen Technik die Aussicht auf wirtschaftliche Unabhängigkeit vorgezeigt. Es war eine geniale Leistung, ein so riesiges und vielschichtiges Land mit unterschiedlichsten Kulturen während der Proteste zu einen und geeint zu erhalten: Daher war auf den Protesten mitgeführten Fahne ein Spinnrad abgebildet. Dieses wurde 1947 für die Indische Flagge vorgeschlagen, aber dann ersetzt durch ein Rad mit 24 Speichen. Fragt man aber Indische Menschen ist das Rad inoffiziell noch immer das Spinnrad.
Flaches Papier ist für eine Bildhauerin herausfordernd. Ich habe verschiedene Techniken ausprobiert, um das Papier plastisch zu gestalten:
Durch arbeitsintensive Schichtung entstanden unter Anderem aus einzelnen identisch gearbeiteten losen Teilen Türme bis zu einer Höhe von 60 cm.
Relief und Intarsie inspirierten mich zum Einflechten breiter Bahnen von Knitterteilen in die flachen Papiere.
Ich durchtrennte nach der vorläufigen Vollendung mehrere Webstränge und erzielte durch die entstandenen Vertiefungen und abstehenden Papierstoppel eine plastische Wirkung, insbesondere, wenn mehrere Lagen Flechtwerk durchschnitten wurden.
Die Arbeiten im Portfolio zeigen die Entwicklungschronologie der Arbeiten auf. Sie beginnt mit den ersten freien Arbeiten der willkürlich untergeschobenen Papiere und zeigt die weitere Verarbeitung von verschiedenem Werkmaterial.
Die Fotos stellen allerdings weder das Plastische noch das Haptische zufriedenstellend dar. Gerne lade ich Sie deshalb zu einem analogen Besuch ein. In den Räumen von KUNST IM REIHENHAUS stehen auch lose Ornamente zum freien Schichten und Auslegen für das Publikum.
Meine Objekte können auf vielfältige Weise platziert werden: Durch Anlehnen, Legen, Schweben, Hängen, über Türen, über’s Eck. Spezielle Interventionen können auch unerwünschte Makel der Immobilie verdecken. Objekte und Bilder anders zu platzieren belebt diese und regt die Wahrnehmung an. Ich helfe Ihnen gerne, auch Ihre eigenen Kunstwerke bei Ihnen zuhause neu zu platzieren.